Woche Acht

Källö-Knippla

Die achte Woche begann, wie die siebte endete, mit Sturm und Regen - und hinter der Kaimauer. Wir wurden tüchtig durchgeschüttelt, konnten aber dennoch einigermaßen gut schlafen.
Ein etwas ausgiebiger Spaziergang über die Insel in einer längeren Trockenphase war auch möglich. Da zeigte die Insel ihr ganzes Flair und wir beschlossen, dass dieser Ort mit Fiskebäckskil zu unseren schönsten Hafen-Funden zählt. Ein ausgewiesener Spazierweg führte zu einem Aussichtspunkt mit sagenhaftem Rundblick über das Inselarchipel vor Göteborg mit dem noch immer aufgewühlten Wasser.

Aussichtspunkt_Källö_Knippla

Nach den stürmischen Tagen leerte sich der Hafen rapide. Die ersten segelbaren Stunden wurden von allen genutzt, die entweder auf der Reise gen Norden waren oder in nahegelegene Heimatorte zurück mussten. Zu beiden Gruppen gehörten wir nicht. Unsere Idee war der Schlag nach Laesö, wobei sich dafür absehbar kein geeigneter Wind bot. Also blieben wir. Källö-Knippla schien uns sehr geeignet, um einige Zeit hier zu verbringen. Als wollten wir unseren Aufenthalt untermauern, unternahmen wir einen Tagesausflug mit den kostenfreien Fähren auf zwei umliegende Inseln und schauten uns die Häfen dort an. Weder Rörö noch Hybbeln weckten unser Interesse.

Knippla_Webcam

Viel zu schreiben gab es dadurch allerdings für den Reisebericht nicht. Das Seglerpaar, das wir in Almösund getroffen hatten, lief irgendwann ebenfalls in Källö-Knippla ein. Gemeinsam besuchten wir am Samstagabend das Entertainmentspektakel des Wochenendes an der Hafenkneipe: Eine wuchtige Sangesdame mit auffallendem Schuhwerk präsentierte schwedische und internationale Hits - begleitet vom iPad. Nicht nur dem Skipper schien das wenig musisch, und weil es auch kühl und zugig war, haben wir dem Unterhaltungsprogramm nicht bis zum Ende beigewohnt.

Sangesdame

Neben der Hafenkneipe gibt es eine Anlage, auf der Boule gespielt wurde. Der Begriff 'Spiel' trifft hier aber nicht mehr zu. Hier wurde ernst gemacht. Mehrere Mannschaften boulten auf mehreren Bahnen, die Abstände der Bälle wurden sorgfältig mit einem Maßband vermessen, ein Kommentator verkündete die Entwicklung und Ergebnisse über eine Lautsprecheranlage.

Boule-Turnier_1

Boule-Turnier_2

Die Insel wird von 300 Menschen bewohnt. Durch unseren langen Aufenthalt trafen wir einige davon mehrfach. So stand zum Beispiel die Gewinnerin des Boule-Turniers am Tag drauf bei Coop als Mitarbeiterin an der Kasse.

Am Samstagabend gab's einen tollen Vollmond. Wir hofften, dass der auch eine Wetteränderung mit sich bringt. Was passieren kann, wenn man bei zu viel Wind zu viel Textil an den Mast hängt, zeigten uns am Sonntag die Profis vor Kiel beim Start des Ocean Race Europe. Ein Blick auf das aufgewühlte Skagerrak vor 'unserer' kleinen Insel zeigte glasklar, dass wir im Hafen bleiben sollten.

Und sonst noch...

In den heimischen Gefilden sammelte sich vor Abreise ein Fachzeitschriftenstapel aus einem Abonnement. Um diesen Stapel abzubauen, wurde er mit auf die Fahrt genommen. Während der Starkwindphasen konnten tatsächlich einige Hefte, deren Inhalt den Skipper wirklich interessieren, verarbeitet werden. Gleichzeitig häuft sich daheim wieder neues Material an. Mal sehen, wie am Ende die Bilanz ausfällt.

Während unserer Reise erleben wir natürlich viele kleine Dinge, die in diesem Bericht (bislang) unerwähnt bleiben. Hier ein paar Beispiele:
Seit wir an der schwedischen Westküste sind, treffen wir überall wilde Gänse. Die treten typischerweise in kleinen Gruppen auf und sind - im Gegensatz zu unseren heimischen Enten und Schwänen - total unverdorben. Das erkennen wir daran, dass sie zwar, von irgendwelchen Signalen, die wir aussenden, angezogen werden und sternförmig auf unser Boot zu schwimmen, aber ein zugeworfenes Brotstückchen erkennen sie nicht als Häppchen und schwimmen einfach dran vorbei. Verglichen mit unseren gierigen Schnabelviechern zuhause wirken sie geradezu naiv.

naive_Gans

Außerdem ist uns ein großer, langbeiniger Vogel aufgefallen, der ein bisschen wie ein Kranich aussieht, tatsächlich aber ein Graureiher ist.

Reier

Von unseren Ausflügen haben wir ein bisschen Botanik eingesammelt und schmuckvoll an den Mast unter Deck geknüpft. Paradoxerweise hat der Skipper damit angefangen, obwohl eigentlich die Bordfrau diese Profession verfolgt (hat).

Mastschmuck

Woche Sieben

Eigentlich mit programmierter Route zur Insel Astoll, fuhren wir am Mittwochmorgen der siebten Woche aus dem Hafen - gut entspannt und ausgerüstet - für den Fall der Fälle auch ohne Versorgung für ein paar Tage. Und dieses Los zogen wir dann auch: Die Bordfrau schlug eine Ankerbucht etwas abseits unserer geplanten Route vor, die wir ansehen wollten, um spontan zu entscheiden, ob wir bleiben oder weiterfahren. Dort angekommen begrüßte uns eine freie Gästeboje - die ultimative Einladung zum Bleiben. Diese Ankerbucht bei der Insel Kärrson kam dem gesuchten Ruhe-Idyll sehr nahe. Ein paar Boote rings um uns herum, ansonsten Schären, spiegelndes Wasser nach dem Nachlassen des Windes und ein aufregender Sonnenuntergang (von dessen Illustration der Schreiber angesichts der Vielzahl von Sonnenuntergangsfotos Abstand nimmt). Bis auf ein paar feiernde Jugendliche bei einer 300 Meter entfernten, kleinen Ansiedlung herrschte vollständige Stille.

Ankerbucht_Kärrson

Wir verbrachten zwei höchst entspannende Tage und Nächte in dieser Bucht. Lesen, Baden, Rumhängen - ganz wunderbar. Dann war uns wieder nach einem Hafen, einer richtigen Dusche und ein paar Menschen. Also starteten wir wieder Richtung Astoll - und bogen wieder vorher ab. Diesmal fanden wir den kleinen Hafen an der Südseite von Stora Dyrön verlockend und fuhren einfach rein. Während wir im Hafenbecken drei Kreise fuhren, um etwas Überblick zu gewinnen, fuhr eine dänische Yacht raus, und der Skipper rief uns zu, dass er den besten Platz im Hafen gerade frei gemacht hätte. Dieser Aufforderung konnten wir nicht widerstehen und haben den Platz eingenommen.

Der Spaziergang vom Südhafen zu einem zweiten kleinen Hafen an der Nordseite dauert ungefähr eine Viertelstunde, einmal den Berg rauf ins Zentrum der Insel und einmal runter. Dabei kommt man vorbei an dem Supermarkt, ein kleiner ICA-Shop, der alles anbietet, was man zum Leben braucht. Bis 20 Uhr ist der Laden besetzt, danach kann man sich mittels App Zutritt verschaffen und selbst einkaufen und bezahlen. Während der Laden besetzt ist, wird dort sogar Pizza gebacken (!). Prima Sache, so konnte die Bordküche kalt bleiben, und wir hatten kurzfristig eine Mahlzeit im Bauch.

ICA_Stora_Dyrön

Überhaupt nimmt der Markt eine ganzheitlich versorgende Stellung ein. Auch die Post wird dort abgewickelt - und der Alkoholverkauf. Dazu folgender Hintergrund: In Schweden gibt es im Supermarkt nur schwach alkoholische Getränke. Selbst das Bier ist dort mit maximal 3,5 % zu haben, also für unsere Verhältnisse eher plörrig reduziert. Für die Versorgung mit 'richtigem' Bier, Wein und Spirituosen gibt es spezielle Geschäfte mit eingeschränkten Öffnungszeiten unter dem Namen 'Systembolaget'. Im konkreten Fall war so ein 'Systembolaget' angeblich in dem ICA-Markt integriert, und da dem Skipper das Bier auszugehen drohte, suchte er nach dem Angebot - vergeblich. Also fragte er nach und erfuhr, dass man seine Wünsche erfüllt bekommt, wenn man zwei Tage vorher bestellt, z.B. online, wo man aber einen schwedischen Ausweis digital vorhalten muss, um eine Altersbestätigung zu erhalten. Der Skipper erinnerte sich an die spitzzüngige Frage eines Vereinskameraden, der ihn im Heimathafen beim Laden zusah: "Du fährst Wasser nach Schweden??" Und tatsächlich war das wahrscheinlich nicht die beste Idee, denn am Abend drauf war auch unser Rotweinvorrat erschöpft....

Vor dem Gang in die Koje planten wir die Weiterfahrt. Ein heftiger Starkwind wurde vorhergesagt und bis dahin wechselhaftes und regnerisches Wetter. 

Sturmvorhersage

Unser nächstes Ziel müsste also einmal mehr für ein paar Tage Aufenthalt taugen, ein gewisses Mindestmaß an Infrastruktur müsste vorhanden sein und der Liegeplatz sollte Schutz bieten. Unsere Wahl fiel auf den Hafen mit dem lustigen Namen Källö-Knippla. Der sollte gut erreichbar sein mit den angesagten leichten Ostwinden. Wir stellten uns den Wecker, schliefen schlecht, und als wir die Augen öffneten, war die aktualisierte Windprognose komplett verändert. Südwest war plötzlich angesagt, mit flautigen Momenten. Etwas launig machten wir uns dennoch auf den Weg. So unglücklich die Fahrt auch werden würde, an den Tagen drauf würde es mit Sicherheit noch übler. Wir bissen in den sauren Apfel und unternahmen die gesamte Reise durch Kraftstoffverbrennung. Das machte die Fahrt zwar langweilig und etwas dröhnig, aber das Erreichen des Ziels wurde präzise kalkulierbar. Zur Belohnung bekamen wir einen Erste-Klasse-Liegeplatz, den wir mit dem Heck zum Steg einnahmen und dadurch einen quasi ebenerdigen Ausstieg an Land hatten - äußerst komfortabel. Wir ermittelten zwei Restaurants, einen Thai-Lieferservice, einen Eisladen und einen kleinen COOP Supermarkt. Sogar ein (ziemlich instabiles) Internet-WLAN stand zur Verfügung, was überraschenderweise in Schweden eher unüblich zu sein scheint.

erstes_Schiff

Am zweiten Tag sollte am Abend der starke Wind kommen. Im Hafen war einige Bewegung. Einige flüchteten heim, andere flüchteten rein. Zwischendurch wurde dadurch ein anderer Liegeplatz frei, der zwar nicht annähernd so präsentativ und komfortabel schien, aber deutlich besseren Schutz vor dem zu Erwartenden bot. Ein kurzes Ab- und Anlegemanöver, gewissenhafte Festmacherei, und wir waren gewappnet, auch durch die bereits mehrfach bewährte Kuchenbude, die wir seit bestimmt drei Wochen nicht mehr gesehen hatten. Die Santanita versteckte sich nun fast vollständig hinter der Kaimauer und der Sturm könnte kommen.

Santanita_versteckt

Während der Skipper diese Zeilen verfasst, regnet es tüchtig und die ersten 30-Knoten-Böen fegen über uns hinweg. Wir fühlen uns sicher, und irgendwie gehört ein knackiger Sturm auch zu einer Segelreise dazu - nur nicht auf See.

Woche Fünf - Nachtrag

Grundsund

Das Liegen im Päckchen, also mit mehreren Booten nebeneinander längsseits, hat verschiedene Aspekte: Liegt man innen, also direkt am Kai, wird das eigene Boot von den Crews der außen liegenden Boote als Brücke zum Land genutzt, wobei aus Diskretionsgründen die Regel gilt, das Vorschiff als Weg zu nutzen. Liegt man außen, muss man selber über fremde Boote klettern und wird gegebenenfalls, wenn das innen liegende Boot ablegen möchte, zu Manövern gezwungen. Hier passt also die Erkenntnis "Irgendwas ist immer" perfekt. In unserem Fall - wir waren recht früh im Hafen - lagen wir direkt am Kai und alsbald bekamen wir einen Nachbarn, ein kleines Holzboot, dessen Crew nur zum Kaffeetrinken nach Grundsund gekommen war. So 'geschützt' beobachteten wir, wie die Päckchen vor und hinter uns anwuchsen. Bis zu fünf Boote wurden untereinander vertäut. Kaum war unser Tagesgast von unserer Seite gewichen, wurde auch bei uns angelegt. Zeitweise marschierten die Crews von vier Booten über unser Vordeck, eine Besatzung machte sogar einen Crew-Wechsel, was einem kleinen Umzug ähnelte - mit Koffern, Säcken und Equipment aller Art. Dieser Verkehr beruhigte sich temporär, als ein amtliches Gewitter mit schwerem Regen über den Hafen ging, danach ging das Gepolter gleich weiter. Für uns war klar, dass wir den Platz am nächsten Tag verlassen würden, um wieder unsere Ruhe zu haben.

Päckchen_Grundsund

Vor dem Gewitter konnten wir einen schönen Spaziergang über die nördlichen Felsen vor Grundsund machen. Die Kommune hat dort kunstvoll Stege zwischen den Schären konstruiert, die zu tollen Aussichtspunkten und diversen Badestellen führen.

Weg_über_Schären

Vergleicht man das mit der unentschlossenen Entwicklungspolitik in der Heimat, bekommt man Respekt.

Aussicht_auf_Grundsund

Usholmen

Der Weg in die ausgesuchte Ankerbucht war kurz und einfach. Dort angekommen fanden wir die drei Gäste-Bojen besetzt und mussten daher das eigene Grundeisen bemühen. Der erste Versuch scheiterte, weil der Anker auf dem Grund nicht hielt. Einige Bootslängen weiter lagen wir sicher. Die Bucht bei Usholmen wird begrenzt durch einige Felsen, die den Ankerplatz nur durch zwei relativ schmale Lücken erreichbar machen. Diese wurden nun in unserer Wahrnehmung als Ein- und Ausfahrten genutzt, und es entstand auf dieser Weise eine Art Verkehrsweg. Außerdem nahm die Zahl der Anker- und Schärenlieger rapide zu. Am Ende zählten wir rund vierzig Boote, nur ein Drittel Segler. Von idyllischer Ruhe waren wir also genauso entfernt wie im Hafen. Einziger Unterschied: Hier stolperten keine Fremden über unser Deck.

volle_Ankerbucht

Nach der ersten Nacht am Anker konnten wir am Morgen eine der begehrten Gästebojen ergattern - die 'Wunschboje' der Bordfrau, was gleichzeitig Vorgabe für eine zweite Nacht in der Bucht war. Um uns herum tobte das Leben. Auf einem Boot wohnten neben dem Eignerpaar auch zwei mächtige Rottweiler, die ihren Lebensraum mit imposantem Gebell vor jedem vorbeifahrenden Paddler beschützten und auf dem Vorschiff posierten. Dreimal am Tag fuhr Herrchen mit jeweils einem der Brocken mit dem Dinghi zum Gassigehen an Land - ein ziemlich fragwürdiges Unterfangen für die meisten Beteiligten.

Gassi_fahren

Auf einem anderen Boot wurde einem der Söhne eine lustige Schaukelei ermöglicht: In einem Bootsmannsstuhl am Spi-Fall konnte der junge Mann - eine geeignete Länge des Falls eingestellt - an der Bordwand des Bootes entlang laufen, sich davon abstoßen und wieder zurück pendeln - Rumms! Das schien große Freude zu bereiten, maß man das an der Ausdauer des Schaukelnden. Untermalt wurde der Genuss von spitzem Gerufe des Jüngeren und Abklatschen bei jedem Vorbeiflug. Als der Größere den Sport endlich aufgab, war der Kleinere natürlich bemüht es ihm gleichzutun....

Bootsmannsschaukel

So beobachteten wir den ganzen Tag ein reges Treiben und sprangen auch einige Male selbst ins Wasser zur Abkühlung. Dabei wechselten wir uns ab mit einer Quallenwache, indem wir nicht gleichzeitig von Bord gingen, sondern jeweils dem Anderen Warnungen vor vorbei treibenden Feuerquallen gaben. Die Feuerquallendichte war ziemlich erheblich, es gibt hier außerdem eine blaue Quallenart, mit denen ein Zusammentreffen noch unangenehmere Folgen haben soll. Obacht war also angebracht!

Es gilt die Beschränkung, dass die Gästebojen nur eine Nacht genutzt werden sollen. Entgegen den Rottweilerhaltern kamen wir dieser Regelung nach und verließen die Ankerbucht am Morgen - mit dem Ziel Lyseskil Norrehamn. Dort wollten wir wieder Logistik betreiben, unsere Vorräte ergänzen und so weiter.

Lyseskil Norrehamn

Die Fahrt hierher verlief geräuschlos. Kein Wunder, es sind ja auch nur eine Handvoll Meilen. Der Hafen ist groß, und wir wurden nach einem kurzen Stopp an der Entsorgungsstation von einem freundlichen Hafenwart an den Gästeplätzen in Empfang genommen. "Dies ist unser bester Platz!". Letztlich war der Platz nicht besser oder schlechter als alle anderen Plätze - bis auf den Umstand, dass dort ein Finger zum Festmachen längsseits vorhanden war, was uns das Gefummel mit der schmierigen Mooringleine ersparte.
Wenig später nach uns machte an der anderen Seite des Fingers eines dieser Motorboote fest, die uns zwischenzeitlich den letzten Nerv raubten. Mit zwei mal 400 PS hinten dran schrauben die sich durch die Hauptverkehrswege und fahren mit deutlich über 20 Knoten Slalom zwischen all denen, die sich zu benehmen wissen - wirklich gruselig. Dessen Crew - speziell die Dame an Bord echauffierte sich gegenüber ihrem Skipper beim Festmachen. Etwas Hochdramatisches schien geschehen zu sein. Irgendwann wandte der Motorbootkapitän selbst sich an uns und warf uns vor, seine Vorleine verändert zu haben. Das hatten wir definitiv nicht! Er legte seine Vorleine (mit einem maßlos überdimensionierten Ruckdämpfer,der das eigentliche Problem darstellte) lieblos auf die Klampe des Auslegers, die unserem Liegeplatz zuzuordnen ist, warf dabei unser Stromkabel ins Wasser und verkündete das Gesetz: "Don't touch my rope!" Wir gelobten Folge zu leisten, öffneten im Geiste die Arschloch-Schublade und verfrachteten den Herrn dort hinein. Fortan wurde bei jedem Verlassen der Santanita beim Übersteigen der als Stolperfalle über den Ausleger verknoteten Strippe der heilige Satz zitiert: Don't touch my rope!!

Stolper-Rope

Am Samstagabend war in dem Hafen ordentlich was los. Es trafen sich eine Menge gut gekleideter Urlaubsgäste auf der Dachterrasse eines Hafenrestaurants zum Sundowner. Monoton stampfende Bässe von 80er-Jahre-Covern überzogen die Stege. Glücklicherweise ist der Gästesteg ganz außen, so dass wir weitestgehend verschont blieben. Der Santanita-Skipper machte noch eine kurze Hafenrunde und bemerkte schmunzelnd, das zierliche Pumps mit Pfennigabsätzen den Damen auf den Stegplanken mit den üblichen Spalten erhebliches Bewegungsgeschick abverlangen, das gar nicht mehr elegant und zierlich wirkt. Kurz nach dem Sonnenuntergang, den wir auf der Außenseite des Steges genossen, war Ruhe.

Restaurantbalkon

Die Hitzewelle über Schweden hatte uns voll erwischt. Es kam gar soweit, dass die Bordfrau das Verlassen des schattenspendenden Cockpits minimierte. Wir erledigten unsere logistischen Vorhaben, und der Skipper machte sich allein auf einen kurzen Erkundungsrundgang. Ganz oben über Lyseskil thront eine Kirche, direkt daneben, noch einige Höhenmeter weiter, gibt es einen Aussichtspunkt, der den Namen verdient.

Blick_über_Lyseskil

Woche Sechs

Fiskebäckskil

Mit den Aussichten auf das Wetter reifte der Gedanke, unsere Reise nicht mehr allzu weit nach Norden zu erweitern. Und es war nicht nur das Wetter, dass uns dazu trieb, sondern einerseits auch das Gefühl, dass sich die Umgebung kaum mehr verändert (das wäre sicherlich mit größerer Distanz doch der Fall), aber auch das Reisen auf den Verkehrswegen stresst richtiggehend. Natürlich wurden wir vor der Überfüllung der Region in der Hauptferienzeit gewarnt, aber welche Ausprägung das konkret mit sich bringt, erlebt man eben erst an eigenem Leib. Und es ist kaum vorstellbar, welches Gedränge zwischen den Schären stattfindet - und dann immer wieder diese komplett übermotorisierten Einfamilienhäuser, auf denen sportlich-klassisch/lässig gekleidete Piloten ihre Überlegenheit demonstrieren. Sie verursachen neben höllischem Lärm Wellenbilder, die auch ein gut mit Wind gefülltes Rigg zum Schlagen bringen. Verbale Beschreibungen dafür verbietet die gute Ausdrucksform. Hier bedarf es definitiv Regulierung, Kontrolle und Sanktionierung. Das hat mit Freizügigkeit nichts mehr zu tun, sondern ist schlicht rücksichtsloser Egoismus.

unangepasst

Die beschriebenen Umstände lassen uns die Tagesschläge verkürzen. Von Lyseskil nach Fiskebäckskil ist es gerade ein Stunde Seefahrt. Schon die Einfahrt in den kleinen Fjord begeistert. Geradezu malerisch, in den typischen Verschachtelungen und Farben in die Schären eingepflanzt, lächeln uns die Häuser des kleinen Ortes entgegen. An der Wasserkante hat jedes Haus einen Steg, viele kleine und große Boote liegen an den privaten Anlagen. Die Marina mit Gästeplätzen ist etwas tiefer innen und so jockeln wir an diesem verträumten Panorama entlang - Entschädigung für den Terror draußen.

Wieder empfängt uns eine freundliche Hafenwartin auf einem Schlauchboot und arrangiert uns einen Liegeplatz, obwohl wir nicht neuzeitlich digital eine Reservierung vorgenommen haben. Das ist uns - mit Verlaub - zu blöd, entbehrt jeglicher Romantik und führt zu Zwängen, denen wir uns nicht aussetzen möchten. Wir machen längsseits am Kopf eines Steges fest und haben eine großartige Aussicht auf den Ort samt weitem Blick bis durch die Öffnung des Sunds auf die freie See.

Blick_vom_Stegkopf

Da wir früh gestartet sind, kommen wir bereits vor Mittag an. Unser Frühstück fiel entsprechend spartanisch aus. Das Mittagsloch im Bauch sollte durch das Lunch-Angebot des Hafenrestaurants bekämpft werden. Dieses überzeugte total. Zwar mussten wir ein bisschen in der Schlange stehen, um einen Platz zu ergattern, aber das kulinarische Erlebnis hat einfach nur riesigen Spaß gemacht. Es wurde zum Tagesgericht als Starter ein Buffet mit verschiedenen Herings- und Kartoffelsalaten geboten, Kaffee zum Abschluss gab's auch, alles für einen seriösen Preis - das Gegenteil einer Touristenfalle.

Die deutsche Nationalflagge haben wir seit geraumer Zeit nur noch selten gesehen. Da fiel es auf, dass am Steg ein Segelboot aus der Heimat lag, erst recht, da der Skipper mit einer (unverstärkten) elektrischen Gitarre da saß. Der entpuppte sich im Gespräch als großer Steve-Lukather-Fan - eine fast schon kuriose Überraschung, hat doch der Santanita-Skipper kurz vor der Abreise eben diesen Gitarrenhelden wiederentdeckt und seitdem ein Konzertvideo aus den 90ern im Ohr, das er damals in Hamburg besucht hat. 'Extension Blues', 'Party in Simon's Pans' (Simon Philipps) - großartig! Luke damals mit wilder Mähne, ausgebrochen aus dem Pop-Image von Toto, wie entfesselt im Freiraum des (im Zweifel) massenuntauglichen Jazz-Rocks. Am Abend drauf sollte es Musik in der Hafenbar geben, und da waren wir natürlich gleich verabredet - eine tolle Urlaubsbekanntschaft mit einem Seglerpaar von Fehmarn.

Trubaduren

Das Ringen um Liegeplätze war intensiv. Kurz vor Mittag kam - wie erwartet - eine große (43 Fuß) Motoryacht an 'unseren' Stegkopf. Die sollte nach Plan dort liegen, wo wir extra einen großen Platz für eine andere Motoryacht gelassen hatten, die am Vormittag abreisen sollte. Die Besatzung war jedoch ausgeflogen, und so hatte der leicht überforderte Hafenwart keine bessere Idee, als die angekommene, riesige Yacht an unsere Seite zu dirigieren. Das konnte natürlich nur eine temporäre Lösung sein, und so warteten wir gemeinsam auf die Rückkehr der Crew, die eigentlich Platz machen wollte. Aufgelöst wurde die missliche Situation erst durch den Hafenwart der zweiten Schicht, der uns einen anderen Platz organisierte, auf dem wir auch noch eine dritte Nacht würden verbringen können. Also hatten wir ein weiteres Hafenmanöver zu absolvieren, danach aber einen wirklich guten Platz inmitten von Einheimischen, also etwas separiert vom Gästehafen-Trouble. 

Wir blieben insgesamt drei Nächte in Fiskebäckskil und haben beschlossen, dass dies vielleicht der für uns passendste Ort mit touristischem Angebot war - Ankerbuchten und Naturhäfen außerhalb der Betrachtung.

Björholmen

Auf Anregung der Bordfrau hieß unser nächster Zielort Björholmen. Dort solle es einen Skulpturenpark geben, der den kulturellen Teil unserer Reise bereichern könnte. Dem Skipper ist es recht, ein bisschen Fahren, ein neuer Platz, neue Eindrücke - prima!

Auf dem Weg passiert dann endlich das, was wir selbstverständlich vermeiden wollten, was aber angesichts des Tiefganges der Santanita und den Besonderheiten des Reviers irgendwie vorprogrammiert war..... Am Abend zuvor hatten wir gemeinsam eine Route abgesteckt, die wir fahren wollten. Dabei sind wir - ohne Vorsatz - streckenweise von den Hauptverkehrswegen abgewichen. Dies erwies sich während der Fahrt als äußerst erholsam, weil die vorwiegend genutzten Wege nervtötend frequentiert werden. So genossen wir die Ruhe der Nebenstrecke bis zu einer Engstelle, die nicht nur eng, sondern auch besonders flach ist. Es knirschte, es rummste, die Santanita machte unbekannte Bewegungen, die (zum Glück vorher geringe) Geschwindigkeit war sofort bei Null. Im Bruchteil einer Sekunde war klar was passiert war, und es herrschte Alarmstimmung an Bord. Segel runter, Maschine an. Das Boot vertrieb innerhalb der wenigen Meter Breite der Durchfahrt rasch nach Lee und legte sich spürbar mit dem Kiel gegen die nebenliegende Untiefe - wieder mit etwas ungewolltem Nebengeräusch. Das kleine Angelboot hinter uns stoppte und beobachtete kommentarlos unsere Bemühungen. Dahinter kam ein Kajütboot auf und fuhr an uns vorbei. "Follow us!" rief die Crew uns zu. Mit blindem Vertrauen in der unglücklichen Situation folgten wir den Schweden, die uns derartig dicht an dem Felsen vorbei lotsten, dass beinahe die Bordwand am Stein gekratzt hätte. Ausgerechnet dort war es aber tief genug für uns.

Das helfende Boot war schnell vor uns verschwunden, so dass wir uns kaum mehr bedanken konnten außer einen nach oben gerichteten Daumen zu zeigen. Wieder in tieferem Gewässer schauten wir uns die Kielverbolzung an - alles klar dort. Die Grundberührung war extrem erschreckend, hat aber keine strukturellen Schäden hinterlassen. Wir klopften dreimal auf Holz (Stirn). Später am Liegeplatz sollten wir erkennen, dass wir das Kartenmaterial eigentlich gewissenhaft genug verwendet hatten (im Bild ist die Fahrtrichtung südwärts). Die Tiefenangaben sind nicht wirklich eindeutig. Beim zweiten Versuch sind wir ja durchgekommen und die enge Fahrt an der Schäre wäre wohl nicht notwendig gewesen.

Screenshot

Naja. Ende gut, alles gut. Die Bombe ist noch dran, die Santanita liegt weiterhin gerade im Wasser. Erstaunlich: Der Impuls, der durch das Schiff ging, hat im Masttopp (!) den Windex deutlich sichtbar verdreht (!!). Alles Weitere sehen wir im Oktober nach dem Aufslippen. Nach dem für uns diesen Sommer geleisteten Diensten steht ohnehin eine besonders liebevolle Pflege an.

In Björholmen bekommen wir einen Gästeliegeplatz an der Außenseite des Hafens - mit Mooringleine und voll im Schwell jedes vorbeifahrenden Motorbootes. Wir binden einen Fender quer vor den Bug, um nicht mit dem Steven gegen den Steg zu stoßen. Aber das passiert nicht, die Mooring ist kurz genug angebunden.
Nach einer kurzen Erkundung der Gegebenheiten leihen wir uns zwei Fahrräder und strampeln über die leicht hügelige Gegend zum Kulturhighlight. Die Hitzewelle ist voll ausgeprägt, wir schwitzen animalisch, aber das gilt nicht als Ausrede für das Auslassen des Besuches im Skulpturenpark "Pilane". Sehr besonders fügen sich die Exponate in die spezielle Landschaft ein, allüberagend die geschätzt fünfzehn Meter große Anna.

Anna

Wieder zurück am Boot erfrischen wir uns mit einem Bad im klaren Wasser und lassen den Tag ausklingen. Genug erlebt für heute. Morgen wollen wir weiter. Es gibt da eine Verabredung....

Almösund

Rund zehn Tage nach uns ist ein Paar Vereinskameraden (wie gendert man das richtig?) ebenfalls mit dem Ziel 'Schwedische Westschären' aufgebrochen. Da wir nun die Bewegung gen Norden deutlich reduziert haben, uns sogar schon wieder ein wenig gen Süden orientieren, werden wir eingeholt. Beste Gelegenheit für ein Treffen und den Austausch von Erfahrungen und Seemannsgarn. Wir verabredeten uns in Almösund, auch, weil in den folgenden Tagen straffer Wind angesagt ist und wir einmal mehr Schutz in einem Hafen suchen wollen. Mit den Beiden verbringen wir zwei tolle, lebendige Abende - einen auf der Santanita und einen auf deren klassischem Holzboot. Das ist schon eine andere Welt, wenn man als 'Plastikbootsegler' von den Umständen und Notwendigkeiten zum Betrieb eine solchen Klassikers erfährt. Wir haben Respekt, wissen aber auch unseren modernen Komfort zu schätzen.

Der südliche Wind passt für unsere Freunde, die uns deshalb nach zwei Tagen verlassen. Wir wollen in die Gegenrichtung und bleiben noch. Sicherlich wäre eine Fahrt 'gegenan' möglich, aber wir finden den wenig touristisch genutzten Ort klasse, genießen die Ruhe und gestehen uns eine gewisse Trägheit ein. Also machen wir "Urlaub im Urlaub" und faulenzen einige Tage, innerhalb derer (wir sind auch zum genauen Nachrechnen zu faul) wir das Bergfest unserer Reise feiern. Da wir jeden Tag zelebrieren, wird das Ereignis nicht besonders begangen, aber im Bewusstsein graviert sich ein, dass die Hälfte der Zeit vorüber ist - und andersherum auch noch vor uns liegt. Neben dem Ausleben unserer Trägheit gibt es ein großes Reinemachen, Diesel wird getankt, wir gehen Baden, Lesen und kümmern uns um die Alltäglichkeiten. Wunderbar, Müßiggang im besten Sinne. Die Windsituation ist nicht aufdrängend günstig für unser nächstes Ziel: Wir wollen südwestwärts, wieder raus aus dem Sund hinter der Insel Tjörn, in die 'erste Reihe' des Schärengartens. Dort werden wir dann mit kleinen Schlägen noch ein paar Plätze aufsuchen und auf eine geeignete Wetterphase lauern, um den Schlag zurück nach Dänemark anzugehen.

Woche Fünf

Der Reisebericht muss etwas pausieren bzw. kurz gehalten werden - Nachholung in Aussicht gestellt.

Wir liegen in Lysekil im Nordhafen und es ist über 30 Grad heiß. Die Bordfrau genießt eine deftige Sommererkältung, der Skipper ist zum Glück nur leicht angesteckt. Die Dinge des Alltags sind unter diesen Bedingungen anstrengend, und zusätzlich muss der Körper vor Eiweißgerinnung geschützt werden. Deshalb nur kurz:

In der Woche 5 waren wir zwei Tage im Hafen von Grundsund, danach zwei Tage in einer Ankerbucht bei Usholmen. Jetzt - wie bereits geschrieben - liegen wir in Lysekil Nord. Die Urlaubssaison ist in vollem Gang und wer glaubt, hier irgendwo Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden, wird nachhaltig belehrt. An jedem Felsen, der aus dem Wasser ragt, hängen Boote mit Freizeitlern. Überall planschen Badende und rappeln Bootsmotoren. Die Sonnenuntergänge füllen die Speicher der Digitalkameras.

Und wir mittendrin.....

Ergänzung: Die Bordfrau findet die Ausführungen zu negativ. Das sollen sie nicht sein. Wir freuen uns weiterhin über jede Stunde, die wir hier verbringen!